Silver (Juni 2002)
Was man kleinen Kindern erzählt, damit große Kinder schlafen können
… ist ein schöner Titel, doch mir genügt vorerst eine Flasche Rotwein. Außerdem zieht es immer extremer auf der Toilette, wenn ich das Fenster im Flur öffne.
Und falls das hier noch stehen sollte, habe ich vergessen es zu löschen.
Bei dieser Ausgabe von das Blaue vom Himmel handelt es sich um einen Ratgeber namens:
"Wie lockere ich steife Situationen ein wenig auf?"
Wir kennen das alle: Momente, in denen man am liebsten im Boden versinken oder verzweifelt in seinen Kragen "Beam me up, Scotty!" brüllen möchte.
Die große Standuhr tickt gleichmäßig und stellt das einzige Geräusch dar, das in diesem Raum zu hören ist. Hin und wieder räuspert sich einer der Gäste und zieht somit die gesamte Aufmerksamkeit der übrigen Damen und Herren auf sich. So viele perverse Gedanken und Witze gehen einem durch den Kopf, das man instinktiv alle Muskeln anspannt, um bloß nicht derartiges laut auszusprechen. Und dann die plagende Frage: "Habe ich es gerade doch gesagt???" Brüllendes Schweigen. Verzweifelt versuchen alle etwas Sinnreiches in ihrem Kopf zu finden, um die unangenehme Stille zu brechen…
und dabei wartet man vielleicht nur ganz unbeteiligt auf ein Trinkgeld.
Hier findest Du nun ein paar heitere Tips, wie man eben diesen Antimaterie-Natürlichkeit-Situationen entgehen kann.
1.) Auf einer Familienfeier…
(Am Besten eignen sich hierbei Anlässe, wie die erste hl. Kommunion, Hochzeiten, Taufen etc. Den größten Effekt erzielt man allerdings, wenn man auf einer Veranstaltung der zukünftigen Schwiegereltern ist.)
Die gesamte Sippschaft sitzt in einer sommerlichen Sonntagnachmittag Idylle nach dem Gottesdienst beisammen und läßt sich von den angemieteten Köchen unter den weißen Pavillons bedienen. Da man für "Hach-was-bist-du-groß-geworden"-Spielchen zu alt ist, und im übrigen kaum jemanden kennt, lehnt man sich steif zurück und isst den Kuchen unnatürlich verkrampft. Bei jedem Bissen achtet man darauf, möglichst Haltung zu bewahren, da man das Gefühl nicht los wird, von allen Seiten beobachtet zu werden. Dem ist natürlich auch so, denn die vielen Verwandten wollen sich schließlich ein Bild von einem machen, und wissen, wer dieser Mensch ist, der schon bald ihren Nachnamen tragen könnte.
Unangenehm Stufe 3
TIPP: Starte einen Frontalangriff.
Ergreife die Initiative und warte nicht darauf in irgendein Fettnäpfchen zu treten.
Räusper Dich ein zwei mal und frage dann mit lauter, klarer Stimme:
"Entschuldigung, stört es Sie, wenn ich …"
Die entzückten Onkeln und Tanten, die sich denken "Wie reizend, es kann sprechen!", und ohnehin die Luft mit ihren Havanna-Bombern verpesten, kommen Dir unaufgefordert entgegen und antworten: "Nein, nein. Rauchen Sie nur."
"… mir einen Schuss setze?"
Jetzt die Gunst der Stunde nutzen. Während Dich Opa und Oma mit ausgefahrener Kinnlage anstarren, als wollen sie Dir ihre neue Kukident-Anlage präsentieren, packe ganz lässig vor ihnen Dein Spritzbesteck aus. Lege eine Schlinge um den linken Arm und zurr sie fachmännisch mit dem Mund fest. Dabei kannst Du ruhig ein paar tierähnliche Geräusche von Dir geben, was die Wirkung auf Mama und Papa ein wenig modifizieren dürfte. Bitte die Bedienung höflich um einen Teelöffel. Alle Augen sind auf Dich gerichtet, sämtliche Fassaden von gespielter Höflichkeit zerbröckelt. Du hast die Situation eindeutig gelockert. Glückwunsch.
Aus gesundheitlichen Gründen rate ich, jetzt nicht weiter fortzufahren. Rufe die Bedienung hingegen erneut und bestelle einen kühlen Schuss. Prost.
2.) Bei einer Beerdigung…
(Natürlich würde sich die eigene am Besten hierzu eignen, was aus logistischen Gründen jedoch nicht durchführbar ist. Ich rate zu Anlässen von entfernten Tanten oder völlig unbekannten Leuten…)
Schniefende Trauergäste, die sich die letzte Träne aus den Lidern drücken, obwohl sie der Person, die hier bestattet werden soll, ein Leben lang den Tod gewünscht haben. Heuchelnd lauschen sie der Ansprache und geben traurige Gluckser von sich, wenn es die Rhetorik des Redners erlaubt. Die meisten haben eine Miene aufgesetzt, als würden sie immer noch auf einem versalzenem Stück Obstplunder mit Zuckerguss rumkauen, das sie sich vor zwei Tagen in den Mund gesteckt haben. In stiller Vorfreude auf den bald folgenden Leichenschmaus, der von den nähesten Hinterbliebenen hoffentlich nicht allzu spartanisch aufgetragen wurde, treten sie von einem Fuß auf den anderen.
Jeder beobachtet jeden, um festzustellen ob die Tränen echt sind, oder ob man den Plunder schon ausgespuckt hat.
Und Du stehst unbeteiligt dabei, und weißt nicht recht, wohin mit den Händen.
Unangenehm Stufe 2
TIPP: Entreiße den Erbschleichern die Masken der Heuchelei und versuche die wahren Trauernden zu trösten.
Den eigens hierfür mitgebrachten Ghettoblaster nun auf "Volume-Maximum" stellen und den beliebten Roberto Blanco Hit "Ein bisschen Spaß muss sein" (o. Flippers - Die rote Sonne von Barbados) laufen lassen und wie ein in Sektlaune schwebender Eunuch lostanzen.
Fang an zu Grillen und verteile Würstchen an die Messdiener. Öffne ein oder sechs Flaschen Bier und gröl den Refrain mit. Zum Lied-Ende hin spring ins Grab und klammer Dich an den Sarg. Stimme einen monotonen Singsang an:
"Der heilige Satan wird Dich schon einkehren lassen ins himmlische Paradies. Grüß mir Elvis Presley und Hannelore Kohl."
(Den besten Effekt erzielt man bei diesem Ereignis übrigens als Priester!)
3.) In flagranti mit der Frau des Chefs…
(Ich empfehle diesen Situationen möglichst aus dem Weg zu gehen. Falls man dennoch in derartige Komplikationen verstrickt wird - nur die Ruhe!!!
Als Betrogener sollte man bei wiederholtem Auftreten allerdings einen Fachmann (Psychoanalytiker/ Eheberater/ Profikiller) hinzuziehen…)
Mitten im Lustakt stürmt der Ehemann ins Zimmer und sieht das Liebespaar in seinem eigenen Whirlpool ficken. Die leeren Champagnerflaschen und die riesigen Pfützen des übergeschwappten Wassers zeugen von einer wilden Orgie. Die Kleidung liegt wüst verstreut in der gesamten Wohnung und ist an manchen Stellen angeknabbert. Gebrauchte Präservative finden sich im Aquarium, im Backofen, im Gefrierfach, im Videorekorder, in der Kaffeemaschine, zwischen den Familienalben und im restlichen Gebäude wieder. Die Sache liegt klar auf der Hand…
Unangenehm Stufe 5
TIPP: Erstmal aufhören! Einige Sekunden verstreichen lassen, dann aufrichten und sagen…
1. "April, April!" (Geht in 364 Fällen nicht auf.)
2. "Da habe ich mich wohl im Haus geirrt."
3. "Können Sie nicht anklopfen?"
4. "Und Ihren Job krieg ich auch noch!"
5. "In der Anzeige stand nichts von Sandwitchspielen!"
Die endgültige Reaktion bleibt aber natürlich jedem einzelnen selbst überlassen.
Schließlich hat jeder seine ganz individuellen Angewohnheiten, Macken und Marotten.
Ein guter Freund von mir pflegt die geheime Leidenschaft, Löcher in meine Klotür zu schlagen. Das macht er nicht etwa aus Rachegelüsten oder weil er ein aggressiver Klotürfetischist ist. Nein, einzig und allein als eine Art Freizeitaktivität.
Gut, Anlässe muss es schon geben, aber meistens genügen infantile Gründe wie das Abwürgen eines AC-DC-Stückes. Nach getaner Arbeit entschuldigt er sich höflich und formell bei mir, und ich darf ein weiteres, meine bescheidene Toilette schmückendes Action - Kunstwerk mein eigen nennen.
Für diese Fälle habe ich mir angewöhnt, immer ein paar Aufkleber und Poster bereit liegen zu haben. Andere gehen joggen, er schlägt eben Löcher in meine Klotür. Charakterstärke zeigt sich nun mal nicht auf der Crosslaufstrecke.
In diesem Sinne
Ihre Briefkastentante
Käthe Silver