Silver (September 2001)

Flugzeuge im Bauch - oder der eigentliche Terror findet in unseren Köpfen statt

Flugzeuge im Bauch - jaja der gute alte Grönemeyer Hit bekommt in diesen Tagen eine völlig neue Bedeutung. So wird wohl der ein oder andere Gastwirt, der bei der schludrigen und lieblosen Auswahl der für die Ohren seiner Kunden bestimmten Musik, nur einen der tausend Bravo-hits-viva-just-the-best-leck-mich-in-der-täsch-Compilations aufzulegen weiß, gewaltig auf die Fresse fliegen und mir nichts dir nichts in Verbindung zu sämtlichen fundamentalistisch-islamistischen Terrororganisationen stehen. Denn während auf Track 7 ein gewisser Olli Pin Laden die anti-amerikanische Message Kund tut und pietätlos über die Jumbo-Jets in seinen Weichteilen jammert, erkennt selbst der letzte Hinterwäldler die subtile Scherzerei seines Lieblingswirtes, so sarkastisch sie auch sein mag. In diesen schweren Stunden würde eben dieser zu Recht als Zyniker und Staatsfeind beschimpft werden - wenn er Glück hat. Denn vielleicht sähen sich einige der betrunkenen Stammtischtrauergäste durch derartige Zwischenfälle zu empfindlichen Vergeltungsmaßnahmen genötigt und würden laut "God bless America" - grölend die Zeche prellen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden - vielleicht. Im schlimmeren Fall steht kurz nach dem unglücklichen Fehlgriff zum CD-Player das BKA auf der Matte, setzt ihm einen Turban auf und schleift ihn, von Bettlaken haltender Polizisten umgeben, in den Einsatzwagen. Solche Bilder werden dann als gravierende Erfolge bei der weltweiten Terroristenbekämfung vermerkt und stolz über den Äther gejagt. Im Verhör wird der gute Mann lediglich seine Unschuld beteuern können und insgeheim die Pickelfresse mit der Schmalzfrisur nach Afghanistan wünschen. Man wird ihm im grellen Gegenlicht der Schreibtischlampe das ganze Ausmaß seines Anschlages klar machen, ja, ihn sogar der Volksverhetzung anklagen, während er hustend versucht, die rauchgeschwängerte Luft aus seinen Lungen zu pressen, worauf die Beamten nur hämisch lachen und sich drei weitere Reval anzünden werden. So weit könnte es kommen. Doch überlassen wir den geschmacklosen Wirt seinem Schicksal; wenden wir uns nun der Frage zu, wie Menschen so etwas tun können… Nein, ich meine nicht Olli P., obwohl diese Frage im nächsten Sommerloch ausdiskutiert werden sollte und entscheidende Maßnahmen getroffen werden müssen. Ich finde George W. Bush wäre ein geeigneter Richter, wenn es darum geht, die Ohren dieser Welt von sämtlichem Bösen zu befreien. Tja Olli, das war eine Kriegserklärung an die gesamte zivilisierte Welt. Lauf und versteck dich in den Bergen, bevor die Marines kommen und dir kräftig in den Arsch treten. Olli Pin Laden - Dead Or Alive. Apropos, was ist eigentlich mit anderem Liedgut, wie z. B. "Über den Wolken"? Reinhard Mey - ein Songwriter übrigens, den ich sehr zu schätzen weiß - war bestimmt nicht bewußt, welche Doppeldeutigkeit er schuf, als es schrieb:

"Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein."

Angeblich waren doch vier von den Suizidpiloten deutschsprachig - welch makaberer Gedanke, dass sie diese Melodie trällerten, während sie die Maschine bei den Worten "…nichtig und klein" geradewegs ins World Trade Center jagten. Jetzt reicht es aber wirklich. Versteh mich bitte nicht falsch, lieber Leser, wenn du dich jetzt angewidert abwendest oder stupide lachend mehr forderst. Viel zu viel Zynismus lastet auf diesen Zeilen, und das in dieser multimedialen Instanz, in der es ohnehin schon mehr als genug Abstumpfung und Perversionen gibt. Chatrooms sind virtuelle Wichskabinen und Internetsurfer voyeuristische Megabyte-Junkies - das nur so am Rande. Nicht den Menschen, die grausam ums Leben kamen, den Trauernden oder den zu Recht Wütenden gilt mein Spot. Vielmehr einer irrationalen Welt, die ohnehin schon mit Zynismus und menschenverachtender Lebensweisen vollgestopft ist und an ihrer eigenen Scheiße zu ersticken droht. New York ist bloß ein glimpflicher Anfang, wenn niemand versucht dem wirklichen Übel etwas entgegenzusetzen. Das wirkliche Übel - ein gutes Stichwort. Mein Lieblingsrhetoriker George WWWWWWW W. Bush hat sich heldenhaft bereit erklärt das Böse auf dieser Welt zu vernichten. Das hätte John Wayne nicht besser sagen können. Aber was ist das Böse? Der Islam? Die Taliban? Osama bin Laden? Afghanistan? Ach, der Terrorismus, ja dann is ja alles klar - TÖTET IHN, HÄNGT IHN! Wen? Na den Terrorismus. Jenes personifizierte Böse, das unsere Welt heimsucht und darauf wartet von den USA gefangen und bestraft zu werden. Die schlauen Köpfe werden jetzt sagen, dass der Terrorismus nur ein Symptom einer kranken Welt ist - und Recht haben die Klugscheißer (zumindest in meinen Augen, John und George würden das vielleicht anders sehen). Jene Neunmalklugen haben dann auch gleich die Antwort parat, uns begreiflich zu machen, was soviel Hass und Verzweiflung in einem Menschen hervorbringen kann, einen Anschlag mit solchen Ausmaßen zu begehen: Knapp 1 Milliarden Menschen hungern; es gibt Staaten, die im Mittelalter leben, ausgebeutete Länder, die nicht an unseren Friede-Freude-Eierkuchen-Parties der Nationen teilnehmen. Und während unsere westliche Welt von Globalisierung spricht und erfolgreich versucht den Wohlstand zu mehren, krepiert der halbe Planet. Ich weiß, immer an der eigenen Nase packen, aber das versuche ich ja gerade. Jeder von uns ist doch mittlerweile spezialisiert darauf, mit den ihm zur Verfügung stehenden Optionen das Bestmöglichste zu erreichen. Wir halten uns an die Spielregeln und sind darauf bedacht, es uns gut gehen zu lassen. Die Welt ist sowieso kaputt und viel zu kompliziert sie in der uns verbliebenen Freizeit zu begreifen. Na klar, auch das Leben in Deutschland kann ganz schön hart sein, und Martin Schmitz, der jeden Tag von 6 Uhr bis 18 Uhr malochen geht, wird mich als scheiße-labernden-Studenten-Hippie bezeichnen, wenn er diesen Text liest. Und das ist absolut gerechtfertigt, nur wird Martin Schmitz diesen Text nie lesen, weil er lieber nach getaner Arbeit auf die Ballermann-Party geht, und wer kann ihm das schon übelnehmen? Keiner von uns trägt nun mal persönlich die Schuld daran, wenn irgendein Konzern in der dritten Welt eine Fabrik hochzieht, in der er Billigarbeitskräfte unter miesesten Bedingungen für sich schuften läßt - davon wissen wir ja auch gar nichts, und wollen es auch gar nicht wissen. Und wenn eben dieser Konzern sämtliche Versuche der Angestellten unterdrückt, sich zu organisieren und eine Gewerkschaft zu gründen, dann ist das sowieso irgendwo weit weg. Für die Amis noch ein gutes Stück weiter weg als für uns Europäer, habe ich das Gefühl. Die letzte Supermacht USA regiert die Welt. Nicht mit ihren Bomben, sondern mit ihrem Dollar - das ist keine anti-amerikanische Hetze, wie von manchen Gastwirten - sondern einfach nur Fakt. Und während ihr Militär ein Land in die Steinzeit zurückbombt, der Dow Jones dank funktionierender Rüstungsindustrie steigt, haben wir keine 24 Stunden Unterbrechung in unserem geliebten 40 Kanäle-Programm, sondern können die heiteren Vorabendsendungen schauen, die sich mit unseren ganz alltäglichen Problemen auseinander setzen. Und wenn in der weiten weiten Welt von der NATO zivile Ziele wie Fernsehsender, Schulen, Märkte oder sogar Krankenhäuser bombardiert werden, bekommen wir nicht die Tragödien mit, die sich in diesem ganzen Elend abgespielt haben, die Schicksale der Unschuldigen die grausam ums Leben kamen. Es herrscht immer Krieg, irgendwo. Und immer sterben Menschen auf bestialische Art und Weise. Arrogant ist die Haltung der USA und der gesamten "zivilisierten Welt" gegenüber denen die ihr Leben lang darunter zu leiden haben. Arrogant, desinteressiert und … zynisch. Das, was uns die Medien in den letzten Tagen eingeflößt haben, ist keine seriöse Berichterstattung, sondern Propaganda. Trauernde Politiker, zu Parolen degradierte Reden und Bilder, bei denen man nichts anderes tun kann, als entsetzt auf den Bildschirm zu starren, vereinen uns. Sie lassen uns einer Meinung sein. Wir haben denselben Feind, und wenn wir ihn finden, dann töten wir ihn. Oi! Amerikaner sind außer sich vor Patriotismus, und mit der gleichen Skepsis, mit der ich die fanatischen Islamisten bei den Reden ihrer geistlichen Führer aus der Haut fahren sehe, als haben sie endgültig ihr Hirn eintöpfern lassen, darf ich mir nun die aufgebrachten US-Bürger anschauen, die keinen Deut besser sind - und das Beängstigende: Die Reden sind nahezu identisch, in ihrem anstachelnden platten Pathos. "Wollt ihr den totalen Krieg?" möchte man rufen, wenn man sich wie die Masse das Gehirn verbal aus dem Schädel ficken läßt, und das letzte Fünkchen Vernunft mit einem kühlen Schluck Coca-Cola den Verdauungstrakt runterspült. Aber es ist leicht sarkastische Bemerkungen aus dem warmen Wohnzimmer zu schreiben, dessen einziges Fenster zu der Welt da draußen der Fernsehapparat ist. Was den unschuldigen Gastwirt angeht - er hat mittlerweile gestanden und wurde den USA ausgeliefert. Er soll aus symbolischen Gründen gevierteilt werden. Und auch das BKA kann zu guter Letzt eine Erfolgsmeldung vermerken, denn nach langen Recherchen internationaler Geheimdienste, wurde der eigentliche Drahtzieher ausfindig gemacht und gefasst - Herbert Grönemeyer, als Textdichter und Komponist Hauptverantwortlicher und in allen Punkten der Anklage als schuldig befunden. Olli P. hingegen hat sich erfolgreich verschanzt und führt unerschrocken seinen Guerillakampf in unseren Ohren fort…
Na dann ein schönes Wochenende und einen fröhlichen Krieg

Honolulu W. Silver

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