RAKI (Oktober 2002)

Lasset ab davon

Du bist Teenager?
Dann kann es gar nicht sein, dass du in diesem Moment diese Kolumne liest.
Das weiß ich, weil mir der Spiegel seit der Pisastudie weismacht, das etwa 120% von euch Heranwachsenden der ‚Wenn-was-zu-Lesen-kommt-schalte-ich-immer-um'-Generation angehören und euer Fernseher nur bei Stromausfall nicht läuft. Und weil der Spiegel das nicht euch kommuniziert, sondern nur euren Eltern, muss ich jetzt eingreifen. Kraft meines Amtes befehle ich: Schaltet euren Fernseher ab! Das tut dem Realitätssinn nämlich gut. Ich habe seit drei Jahren kein Fernseher mehr und habe mich davon entwöhnt, den Blödsinn, der darin läuft, normal zu finden. Denn dies ist ja das größte Problem: Wir sind uns zwar alle einig, dass in der Glotze nur Mist läuft, aber weil man's ja doch ständig schaut, hält man dann diesen nach einer Weile für ebenso unabdingbar oder gottgegeben wie schlechtes Wetter oder das Verstreichen der Zeit.
Wenn ich mir heute irgendetwas anschaue, dann nehme ich es jedoch ernst. Und das ist tödlich. Wenn man die Eigengesetzlichkeit der Sender mal nicht gelten lässt, dann bleibt eigentlich nur ein Haufen Schrott übrig. Und zwar ausgesprochen wirrer und selbstgefälliger Schrott. Mit ist auch die Diskussion darum, ob Zweijährigen die Teletubbies gut tun, oder Ähnliches, zu müßig. Meine Kinder werden sich die Teletubbies erst ansehen dürfen, wenn sie 17 sind und sich dabei ordentlich einen hinter die Binde gießen können.
Dergleichen gibt's noch die eine und andere Abstinenz, die mal ganz gut tut. Die von Fleisch zum Beispiel. Ich bin weit davon entfernt, rein vegetarisch leben zu wollen, aber wer nicht mal ein paar Monate ohne Fleisch zu kochen versucht, der wird nie in den Genuss kommen, nur aus Gemüse irgendwas Aufregendes kreiert zu haben.
In Sachen Essen vertrete ich eine geradezu erzkonservative und hirschhornknopfbesetzte Traditionsliebe: Es lohnt sich allemal, die Rezepte von Muttern und Oma, oder, emanzipierter formuliert, unserer Vorfahren aufzubewahren und nachzukochen. Die wussten einfach, was rockt im Kochtopf! Zukünftige, noch emanzipiertere Generationen mögen auch ‚die Rezepte unserer Väter' bewahren wollen. Bei meinem Vater lohnt das allerdings noch überhaupt nicht. Meine Schwester hat mal bemerkt, dass unser Vater zwar Essen machen, aber nicht Kochen könne.
Eine meiner gefürchtetsten Abstinenzen betrifft McDonalds und dessen Glaubensbrüder. Mir tun all jene leid, die niemals erfahren, dass DAS nun wirklich kein Essen ist. Wäre ich noch ein unbelesener Teenager, wie du, dann könnte ich mir wohl vorstellen, dass ich auf ein bisschen kulinarische Revolte aus wäre und die guten Kohlrouladen von Muttern verschmähte. Dann wäre auch mir teenagerlike egal, dass mir alle geburtsgegebenen Sinne beim Burgerverzehr Alarm melden. Spätestens mit zwanzig hätten mich dann meine Geschmacksnerven wieder eingeholt und würden mich den Indischkochkurs in der Volkshochschule belegen lassen.
McDonalds ist ja so was wie die Bildzeitung zum Essen. Völlige Verarsche am Kunden zu arschvollen Preisen, und das im vollen Einverständnis der Macher, dass der Kunde nur ein Volltrottel sein kann.
Traurig nur für den, der nun nicht zu Mutterns Roulade zurückkehren kann, weil Muttern beim Mäces hinterm Tresen im Frittierfett verkommt. Im Gegensatz zum Fleisch- und Fernsehverzicht, den man zwar dringend mal erlebt haben sollte, um sich normal zu finden, aber, sobald man soweit gereift ist, aus beidem entsprechend einen geistigen oder gustiösen Gewinn zu ziehen, wieder beenden darf, braucht die Fastfoodabstinenz nie ein Ende. Mir wird auch der MacFuture nicht schmecken.

Weil die Band mein Zeitbudget ausbeutet, schleppt sich mein Studium dahin wie geschmolzener Gouda im Sommer. Statt scheinebringender Strebsamkeit plagen mich überdies meist heckenschützenähnliche Bandinspirationsattacken, die zu solchen Texten führen, wie diesem hier, aber nicht zum akademischen Abschluss. Am liebsten würde ich gleich Morgen mein Examen aus dem Plastikoval eines selbst resozialisierten Überraschungseis friemeln und wäre fertig. Aber hin und wieder bringt so ein Studium auch unersetzliche Freuden und Kenntnisse. Zum Beispiel darf mein Familienname auf eine ehrwürdige literarische Tradition zurückblicken: Im dreizehnten Jahrhundert lebte ein Dichter, der heute Neidhart genannt wird, und der sich mit Dichtungen derber Bauernraufereien verdient gemacht hat. Das hat die Zeitgenossen so beeindruckt, dass sie eine Weile eine veritable Literaturgattung aus diesen Schwänken entworfen haben. Im Mittelpunkt stand stets der Neidhart, der die Bauern in die Pfanne gehauen hat. Es hieß dann: Einen Neidhart schreiben. Weil seine Protagonisten, die er dörper nannte, den Dörperinnen gern mal mir nichts dir nichts unten bei gepackt haben, entwickelte sich für diese Anzüglichkeit der Begriff Der Neidhartsche Griff.
Na, wenn das mal keine Familientradition ist! Jedes literarisch interessierte Mädchen kann sich das gern mal von mir demonstrieren lassen.
Allerdings bezweifle ich, dass ich mir mit Untenbeipacken noch einen Namen machen kann, denn den werde ich den Kassierern wohl kaum streitig machen können. Aber alternativ renoviere ich die Bedeutung des ‚einen Neidhart schreiben', fortan heißen meine Kolumnen nicht mehr Kolumnen, sondern Neidharte. Merk dir das.

Übrigens: Laut meiner eigenen Weißmache besuchen 240% von euch regelmäßig bis täglich ein Sonnenstudio. Anders ist diese epidemische Ausbreitung von diesen Einrichtungen in meinem Stadtviertel nicht zu erklären. Ein weiteres Mal rate ich euch: Lasset ab davon! Ich mag euch auch käsig.

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