RAKI (April 2002)
Ein Wort zur Gewalt
Nach dem Auftritt der Vorgruppe Betontod, einer Deutsch-Punk-Band alter Schule, werfen deren
Fans beim Konzert der Wohlstandskinder fortwährend Dosen auf die Bühne des Münsteraner Triptychons.
"Na gut", denkt ihr, "das ist doch nur die gewöhnliche alttestamentarische Methode der Ächtung eines
Szeneehebruchs." Als jedoch eine abgebrochene Flasche dicht an Silver vorbeifliegt, die leicht jedem von uns
Zahn oder Auge hätte kosten können, brechen wir das Konzert vorläufig ab. Was mir anschließend durch den Kopf
ging, habt ihr nun vor Augen.
Besagter Kopf hätte weniger zu zweifeln gehabt, wenn dieses Ereignis als einmaliger und unglücklicher Zufall
abzutun gewesen wäre. Dem ahnungslosen Leser und irritierten Konzertbesucher muss ich jedoch verraten, dass
uns die Kombination Deutschpunkfan - Blinder Hass nicht so ganz neu ist. Auch die GanzHarten, die sich
denken, "was macht der so'n Aufstand wegen der Lappalie", halten mal eben die Klappe, bis die message durchschimmert.
Immer wieder dürfen wir, genau so fassungslos wie die meisten der Anwesenden und nur noch selten vom Irrsinn amüsiert,
mit ansehen, wie heranwachsende oder gestandene Szeneangehörige, die sich ihre Definition von Punk symbolreich an
Leib und Kleider getackert haben, rot vor Wut und schnaubend wie Nostalgie-Lokomotiven unseren Auftritt quittieren.
Blanker Hass stiebt uns aus Parolen und Floskeln entgegen, begleitet meist von unbeholfenen Randalierereien im
Pogokreis vor der Bühne und dem obligatorischen Stinkefinger. Was diejenigen an uns so genau auszusetzen haben und
worauf sie ihre Urteile gründen, bleibt in der Regel im Dunkel. Arme Irre, kann man entschuldigend denken, erst
zahlen sie 8 Euro Eintritt und dann machen sie der Band mit wirren Beschimpfungen Kalamitäten und bekommen vom
selbst produzierten Emotionsgewitter in jungen Jahren managergroße Magengeschwüre. Und allerorts verblüffen sie
uns mit der grandiosen Transferleistung: "Wohlstandskinder - das sind doch Scheißkommerzarschlöcher. Sonst würden
die ja schließlich nicht so heißen!"
Wir sind beeindruckt. Blind vor Szenedünkel haben diese Spezialisten den
normaldeutschen Abzockirrsinn im E-Plusshop, bei McDonalds und der Fernsehwerbung offenbar als gegebenen
Lebensumstand verinnerlicht und müssen sich ihre verloren gegangene Opposition in der Undergroundrockszene neu
definieren, und sehen den Wald vor Bäumen nicht.
Traurig genug. Aber wenn jene beginnen, abgebrochene Flaschen auf ihre unfreiwiligen Kontrahenten zu werfen und
darin auch noch offensichtlich eine Selbstbestätigung erfahren, dann ist unverkennbar, dass ihnen nur der Zufall
einen Iro auf den hohlen Kopf rasiert hat. Mit der moralischen Grundlage irreversible körperliche Schäden tolerieren
oder im Rausch ignorieren zu können, hätte sie das Schicksal ebenso gut Anfang der 90er Jahre nach Hoyerswerda oder
Solingen, oder nach Bosnien versetzen können und sie hätten dort vorbildliche Teilnehmer von Brandanschlägen,
oder marodierende und vergewaltigende Bürgerkriegskämpfer abgegeben.
Es gibt im Jahr 2002 Hunderte
Varianten, sich in einer Jugendkultur eine Selbstidentifikation zu erfinden und als Vertreter der
gescheitesten Weltanschauung und des lockersten Lebensstils zu begreifen. Und nur, weil das Öffentlichkeitsbild
der Wohlstandskinder in einem wie auch immer nebulösen Kontrast zur Szeneprofil von Punk gesehen wird,
lasse ich mich doch nicht steinigen! Auf diese Spielart von Toleranz kann ich gut verzichten. Doch wenn ich heute
an Deutsch-Punk denke, fallen mir nur noch diese Spinner ein. Hier in einem Abwasch Punk und Gewalt
abzurechnen, ist zwar etwas haarig, aber aus unserer Perspektive begegnet uns beides zu häufig zugleich,
um kein Urteil darüber zu sprechen. Wir haben mit diesem Szenebegriff einfach abgeschlossen, wir brauchen
ihn nicht sehen uns doch verfolgt von ihm. Welche Wohltat ist es, sich immer wieder als Deutschpunk
angekündigt zu sehen; das wird ja nur noch vom Prädikat Fun-Punk übertroffen, unter dem man dann
Saufmucke auf ‚How much is the fish'-Niveau vermuten darf. Was mir an Sinnvollem und Lebenswertem auf
unseren Touren durch die Punkszene begegnet ist, kann ich auch anders benennen, als ‚Punk'. Und für die
verlorenen musikalischen Perlen wie Tagtraum, die ich mir mühsam aus dem Gros der Deutschpunkbands
suchen muss, brauche ich schon gar keinen Sammelbegriff.
Es ist reiner Zufall, dass ich oben die Band
Betontod erwähnt habe, gegen die wendet sich meine Kritik auch nicht, aber es ist überhaupt kein Zufall,
dass sich immer wieder in den Reihen der Deutschpunker die allerhohlsten Fritten finden und musikalische
Engstirnigkeit weit verbreitet ist. Natürlich haben wir einige Jahre auf den Partys der Szene mitgetanzt,
lustig war's auch, solange niemand versuchte, uns in unserer Entwicklung zu beschränken. Wenn ich heute bei
Nirvana oder den Pogues mitsumme, weil mich diese Bands einmal begleitet haben, hat das auch
nicht mehr Bedeutung, als wenn's mal ein Stück von der Schweineherbst sein sollte. Nur dafür,
dass ich mit 14 mal Guns ‚n' Roses gehört habe, nagelt mich heute niemand ans Kreuz. Als wir
die Für Recht und Ordnung herausgebracht haben, war das härteste ‚Punkkonzert', das ich je
gesehen hatte, eines der Toten Hosen gewesen. Nach den gängigen Definitionen wären wir alle auch damals
nur als Möchtegernkiddiepunks durchgegangen. Aber heute darf ich mich dafür rechtfertigen, kein ‚Punker'
mehr zu sein und Arbeitslosengeld ist ein Meilenstein der Anarchokultur geworden, ja? Da kann ich ja
nur schizophren werden, wenn ich das unter einen Hut bringen soll. Und wer mir nicht glauben möchte, dass
man kein opportunistisches Charakterschwein sein muss, um mit Mitte Zwanzig auf geringfügig andere Musik
zu stehen, als man's als Teenager tat, der darf sich wohl noch darauf freuen, selbst so alt zu werden. Und
wer dann plötzlich auf Nu Metal abgeht, der soll mir mal mit 'ner Flasche begegnen.
P.S: Meine derzeitige Lieblingsanarchoparole: