RAKI (März 2002)
Ein Wort zur IROnie
"Und ist es wirklich wahr, Herr, dass du ein Punk bleiben willst, ein Ungläubiger, der verächtlicher ist
als ein Hund und widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frisst?"
"Ja"
(…)
Klingt super programmatisch, nicht wahr? Dabei hab ich nur ein Wort ausgetauscht. Ist nämlich nur ein Romananfang
von Karl May. Aber ständig verfolgt mich (und unser Gästebuch) die Assoziation der "Darf ich ein Punk sein, Mama?"-Debatte.
Das zum einen. Damit verbunden ist die Beobachtung, wie überhaupt mit Äußerungen jeglicher Art umgegangen werden,
seien es nun die allerhohlsten Plattitüden in unserem Gästebuch, oder unsere Texte selbst. Es findet sich immer jemand,
der sie todernst nimmt.
Als wir 1996 unseren ersten auswärtigen Auftritt in Oedt bei Krefeld gespielt haben, auf einer Punkveranstaltung
ganz nach alter Schule, dem Rabauzfestival, stand dort an der Eingangstür geschrieben:
Eintritt: 15DM
Studenten: 30DM
Sich in staatlichen Bildungseinrichtungen aufzuhalten, und trotzdem honorabel zu bleiben, scheint für so manchen
grundsätzlich ausgeschlossen zu sein. Da bekommt man ja nur Flausen im Kopf. Na, Pank sei Dank, wenn der liebe Gott
so will, dann ist das eben so. Dann ist der Widerwille gegen Studenten wohl ein ebenso unangreifbares Edikt im
Asselkodex wie der Zwang, Dosenbier für vorzugswürdiger als Flaschenbier zu halten, obwohl dies doch so offensichtlich
neben den ökologischen vor allem alle geschmacklichen Erfahrungen widerlegen. Darüber wundern darf man sich nicht.
Aber gut, ich will hier ja niemandem auf die Springer treten, ich füge mich dem Klischee. Ich will mal so jovial wie ein
Frühstücksmarmeladenwerbespot sein und bin für euch fortan gerne ein Paradestudentenarschloch. Ich bin nämlich nicht
nur eines, sondern das auch noch gerne. Mir ist das geradewegs auf den Pelz geschneidert. All zu gerne sitze ich an
Wochentagen, an denen der liebe Gott sein Können bewiesen hat und an denen heute traditionell das Werken und Schaffen,
das Mehren und Schöpfen, Hasten und Eilen vorgesehen ist, im Sonnenschein unter freiem Himmel auf der Uniwiese,
halte ein Buch in der Hand, bin umgeben von ausnahmslos jungen und hübschen, dabei auch eloquenten Studentinnen und
gucke ihnen auf äh, also, ich gucke, was die so lesen. Die Wintersemester bekommt man auch irgendwie rum.
Ja, und
weil "Punk ist, seinen eigenen Weg zu gehen", wie ich gerade in Brehms Tierleben nachgelesen habe, schreibe ich
jetzt auch nur noch so, wie mir die Tastatur gewachsen ist. So mit fett Fremdwörtern und so. Und wer nicht genügend
Geld verdient, um sich den Duden Band 5 leisten zu können, versteht nix. Übrigens äußert sich jeder in dieser Band
(nicht dieseM Band) so, wie er eben lustig ist. Und zwar nicht so, dass es der Allerdümmste auch noch begreift, wie es
die Toten Hosen all zu häufig tun. Oder er noch irgendwas zu verstehen meint, so wie im vermeintlich tiefgründigen, doch
beliebigem Metaphergestrüpp von Rammstein und gar den Onkelz, aber die findet ihr ja hoffentlich eh schon Scheiße.
Nur hab ich die Befürchtung, dass da gelegentlich das Verständnis auf der Strecke bleibt. Mir, dem das Stigma des
Studiums an den Talar gestickt ist, ist natürlich bekannt, dass Sprache nicht nur ein eigentlicher Sinn, sondern auch noch der
uneigentliche, metaphorische, allegorische, übertragene Sinn innewohnen kann. Aber das Bewusstsein für dieses Phänomen muss
ich jedem Menschen wünschen.
Die Möglichkeit, dass ein
Sprachbenutzer wörtlich meint, was er von sich gibt, ist eine Extremposition, vor der sich das weite Feld von Abstufungen
übertragenen Sinns, der Ironie, des Sarkasmus, des Zynismus und aller möglichen Sprecherrollen aufspannt, in dem die
Möglichkeit, dass der Sprecher gar nicht meint, was er sagt, nicht die außergewöhnlichste ist. Super beliebt ist es bei
so manchem Autor, ja sogar bei Lyrikschreibern von vermeintlichen Punksongs, Sprecherfiguren zu erfinden, die jeden
Scheiß von sich geben dürfen, ohne das nun auch der Schreiber nur Scheiß im Kopf haben müsste. All das schreibe ich nicht,
weil mir poetische Überlegungen vor einem völlig desinteressierten Publikum besonders Spaß machten und ich mich als
poetadoctus (griechisch = Studentenarschloch) beweisen müsste, sondern aus persönlichen Bedenken. Ja, was wir so an
Kommentaren zu unseren Platten, unseren Interviews, zu Einträgen in der Tagesschau unserer Homepage hören müssen,
zeigt nicht nur, dass die Doofsten die lauteste Klappe haben, sondern auch, das eben diese überhaupt alles ernst
nehmen. Man sollte aber nun mal nicht nur über die BILD-Zeitung lachen, sondern auch wissen, warum. Und wer in
unseren Äußerungen nicht wenigstens ein wenig hinter die Kulissen schaut, ist sicher nicht die hellste Kerze auf dem
Kuchen. Wo sollen wir die Schnittpunkte der Bildungshorizonte denn ansetzen? Im Wissen, dass Winnetou KEIN
Pokemonfigürchen ist? Oder dass Oskar Matzerath der Drummer von Ton Steine Scherben war? Auf dem internationalen
Aphorismenmarkt gewinne ich sicher keinen Blumentopf mit der Erkenntnis, dass das ‚sich Wundern' oft die Sicht erhellt.
Schaden kann sie aber nicht. Denn mit ihr bemerkt man viele interessante Dinge:
Ihr müsst wissen, ich bin nicht nur ein Student, ich wohne auch noch in einer Studenten-WG. Mit solch einer assoziiert
man jetzt gewöhnlich eine Reihe von Schreckensbildern, denen wir auch in nichts nachstanden, zumal wir fünf Männchen
waren. Klar, alles voll eklig und so. Müllberge versperren die Sicht auf das schimmelnde Geschirr. Lange Zeit scheiterten
alle Versuche, Müllwegbringpläne zu etablieren, an Pflicht- und Verantwortungsgefühle zu appellieren und trotziges
"bring ich das halt auch nicht mehr weg werden wir ja sehen ob die das ewig stehen lassen". Sie ließen.
Doch da klebte plötzlich ein neuer Plan am Beistellschrank: Jeder Bewohner hat fünf Kreise, für ein Mal Müll
wegbringen darf man eins ankreuzen. Bevor nicht alle ihre fünf Kreise abgekreuzt haben, geht es nicht weiter
zu dem nächsten Fünferpaar. Seitdem gibt es keine Müllansammlungen mehr bei uns. Halbleere Mülltüten wandern
durch emsige Hände in Großmülltonnen. Flink wird Kreuz um Kreuz gezeichnet. Super, was? Nicht der Anblick von
rottendem Unrat motiviert zum Entsorgen, wohl aber die Möglichkeit, pedantisch dem Gesetz des Formulars zu dienen.
An diesem Beispiel lernt man viel über die deutsche Mentalität. Und dass, obwohl meine Mitbewohner Japaner sind.
Das hat zwar überhaupt nichts mit dem oben genannten zu tun, zeigt aber, woran man alles Spaß haben kann.
Es lohnt sich allemal, am eigenen Bewusstsein für Ironie zu arbeiten, und mal nachzusehen, was andere damit so
anstellen. Ob nun Kishon und Wilhelm Busch oder Max Goldt und Charles Dickens, da gibt's für jeden was. Aber
resolute Weltbilder zu vertreten und gleichzeitig die Welt nicht zu verstehen, das passt super zusammen.
Wer nicht den Blick auf die eigene Mehrdeutigkeit schult, ist allzu schnell derjenige, der die halbvollen
Müllsäcke runterträgt.
Bald kommt unsere neue Platte raus. Und auch bei der ist es wieder unabkömmlich,
mit verschiedenen Sprechperspektiven zu rechnen. Sonst entsteht wieder so ein Eindruck wie bei "Kleines Luder",
bei dem alle glauben, es ginge ums Ficken. Und bevor ihr uns wieder wutschnaubend die Bude einrennt, sollten
sich das vor allem diejenigen zu Herzen nehmen, die sich als Finder der diversen letzten Wahrheiten verstehen,
ob sie sich nun Punker oder Veganer oder sonst wie nennen.