RAKI (September 2001)

Zweites Lehrstück

Chinas Jugend lernt das Rocken
Zhi Xi, Zi Huan, Shi Jiao Ri, AK 47
Live in der Get Lucky Bar, Beijing am Samstag, den 1. September 2001



Da man nie etwas über das Leben der Chinesen erfährt, wenn man sich in Bezug auf China immer nur über Menschenrechte unterhält, erzähle ich mal von einer ganz anderen Seite dieses Landes, die ohnehin einen viel gravierenderen Verstoß gegen die Menschlichkeit darstellt: Ein Death Metal Festival in Chinas Hauptstadt Beijing.
Nachdem es mich nun schon zum zweiten Mal nach China getrieben hat, wollte ich diesmal nicht nur den üblichen Touristenplunder besichtigen, um mich dabei selbst für mein kulturelles Interesse zu loben, sondern auch mal herausfinden, ob es in China tatsächlich eine lebendige Rock- oder sogar Punkszene gebe, wie mir gerüchteweise zugetragen worden war. Im Gegensatz zu meinem ersten Besuch sind mir diesmal auch direkt häufiger junge Spunde mit vorsichtig länger stehen gelassenem Haar und Gitarre auf dem Rücken auf der Straße begegnet. In der Gegend von Beijing, in der ich wohnte, gab es sogar gleich ein halbes Duzend Gitarrenläden, und ein Drumcenter sah ich auch mal irgendwo. Trotzdem war es erst einmal schwierig, einen Überblick über die stattfindenden Veranstaltungen zu bekommen, trotz Chinesisch sprechender Freunde war von Otto Normalchinese (die heißen dort natürlich nicht Otto, sonder Wang oder Chang Normal) nicht zu erfahren, was so abgeht im Veedel.
Schließlich bekamen wir von einem Australier ein Heftchen, das mich wissen ließ, dass ich die vielversprechensten Gigs, die während meines Aufenthaltes stattfanden, schon verpasst hatte, nämlich die irgendwelcher verspielten Rockbands zwischen Primus und Red Hot Chili Peppers. In Sachen Punk stand einzig noch ein Konzert mit mehreren Mädelpunkbands aus, die lustig und flippig im Pressefoto grinsten. Als wir jedoch am besagten Abend zur angekündigten Uhrzeit von 22.00 Uhr am Club eintrafen, erlebten wir an Stelle des Beginns nur noch das Ende einer Veranstaltung: Statt der Mädels war Mike Portnoy, der Drummer von Dream Theater im Rahmen einer TAMA Promo Tour oder so was aufgetreten. Ich wurde gemäß der Landessitte gelb vor Ärger, die Chance verpasst zu haben, einen Haufen Chinesen angesichts des Geposes dieses Schlagzeugerheros ausflippen zu sehen und besah mit wenigstens noch den Club. Dieser jener war nämlich ein richtig amtlich schöner Club in der 200 Zuschauerkategorie mit allem Drum 'n Dran zum Rockkonzert adäquaten Wohlfühlen, so dass ich mir wünsche, eines fernen Tages auch mal darin zu spielen. Um nun überhaupt noch ein Livekonzert in China mitzuerleben (2 Tage nach meinem Abflug begann ein dreitägiges Open Air Punkfestival. Is ja klar.), gingen wir schicksalsergeben ein paar Tage später in so eine Western Style Bar mit Arizonanummernschildern an der Wand, die dafür eingerichtet worden war, Ausländern viel Geld dafür abzunehmen, dass sie sich mal ein paar Stunden wie zu Haus fühlen, und absolvierten erfolgreich die Teilnahme eines Death Metal Festivals.
Der Eintritt im Get Lucky war mit ca. 7 DM für uns okay, für 80% der Chinesen aber sicher unerschwinglich. Doch dies ist Beijing, und hier sammeln sich die meisten westlich orientierten und wenigstens annähernd so zahlungskräftigen Chinesen. Insgesamt traten an diesem Abend vier Bands auf, von denen jede nur zwischen 20 und 40 Minuten spielte, so dass eine gewisse Abwechslung garantiert war. Leider war das Konzert äußerst mager besucht. Ob nun die Metalszene wirklich nicht größer ist, die Bands zu unbekannt, oder die Tatsache, dass am folgenden Wochenende schon wieder ein solches Festival mit zum Teil denselben Bands stattfand, Ursache dafür war, weiß ich nicht. Diejenigen, die im Club waren, gehörten jedenfalls größtenteils zum harten Kern der Szene, was nicht weiter verwunderlich war, denn wenn man die Bandsmitglieder von vier Bands samt Anhang zusammenrechnet, kam man schon so ungefähr auf die Zuschauerzahl. Was ein szenegerechtes Outfit betrifft, war ich jedenfalls erstaunt zu sehen, dass ich diesen Jungs mit meiner umfassenden Kenntnis von Okkultismus und Satansverehrung keine Nachhilfe mehr geben brauchte. Die hatte schon jedes notwendige Accessoire inklusive diabolischen Gesichtsausdrucks und komischer Tattoos. Ich schätze, das Internet spielt eine große Rolle für die Kenntnis der Chinesen über das Szeneleben und über relevante Platten. CD-Läden gibt es zwar irrsinnig viele und CDs kosten nur um die 4 DM, deren Auswahl scheint jedoch eher willkürlich zusammengestellt und wechselt mitunter wöchentlich. Das Angebot an westlicher Rockmucke reicht von Schmuserock bis zu derbstem Grindcore, doch zwischen diesen Extremen liegt nicht viel. Jederzeit sind alle Cradle of Filth Alben erhältlich, auch die Use Your Illusions Platten stehen mit Sicherheit im Regal, vielleicht mal ein oder zwei Offspring CDs, doch dann wird es abenteuerlich. Da gibt es die neueste Rage against the Machine neben 15 Jahre alten Eric Claptonplatten, viele seltsame Bootlegs säumen die Regale, häufig ist auf den Covern alles falsch geschrieben (Dream Therter), oder völlig verdreht: Iron Maiden Logo, der Plattentitel lautet "Disco" und die CD enthält Stücke wie "Macarena" und ähnliches. An deutschen Bands tauchen nur obligatorisch die Scorpions auf, ständig eine bestimmte uralte Kreatorplatte und ab und an Kuriositäten wie Lacrimosa und Bauhaus oder Traurigkeiten wie die neueste Rammsteinsingle.
Als erstes spielten Ak 47, sechs junge Hüpfer von höchstens achtzehn Jahren, die eine Art Industrial Metal produzierten, wenn man das heute noch so nennt, wenn Computerklänge untergemischt werden und die Rythmik bestimmen. Ich kenne so was nur von Fear Factory. Auf die Dauer war die Musik etwas einfallslos, doch der Gitarrist konnte wirklich beeindruckend böse dreinschauen und auf seiner zackigen Gitarre posen. Die zweite Band heiß Zhi Xi (=Außer Atem) und hatte scheinbar am meisten Renommee. Sie spielten klassischen Death Metal Kram mit Grunzegesang, leider litten sie unter ihrem nur begrenzt schnellem Schlagzeuger. So ein echtes Death Metal Konzert ist für den Drummer eine athletische Herausforderung erster Güte, und ich finde es immer traurig, wenn sich dann ein Schlagzeuger als dieser nicht gewachsen erweist, während die Gitarrenspieler heldenhaft im Spurt davon galoppieren. Die dritte Band Shi Jiao Ri war am lustigsten, denn hier beherrschte der Drummer nun einwandfrei den Blast Speed, der Sänger klang wie der von Dimmu Borgir und spielte eine Gitarre im markigen Hirschhornkäferdesign. Der Bassist war nicht nur schön dick, sondern hat mich auch mit seiner Dreifingertechnik der rechten Hand beeindruckt, die mir nach wie vor etwas ungeheuer ist, die man aber wohl drauf haben muss, um bei solchen Tempi mitzuhalten. Und natürlich konnte alle von ihnen richtig cool headbangen, weil ihre Haare schon so lang waren, wie die von meiner Mami, als sie 16 war. Als letztes kamen wieder recht junge Jungs auf die Bühne, die sich Zi Huan (=Purple Circle) nannten und sich einer Art New Metal verschrieben hatten, also Baseballkappen trugen und ab und an herumhüpften. Nach zwei Stücken hatte ich aber auch genug vom ganzen Zauber und entschwand.
Summa summarum habe ich an diesem Abend bekommen, was ich mir wünschte: Zu laute Musik, etwas Szeneklischee und ausreichend Exotik. Denn: Wenn sich auch die Musik der Bands nicht von vergleichbaren Nachwuchsbands aus dem Westen absetzte, mögen die Texte nun auch auf chinesische oder ab und an auf englisch "gesungen" worden sein, bei diesem Stil macht das keinen Unterschied, die Szene dort und damit der Charakter eines Konzertes wirkt doch wesentlich anders als im Westen. Es herrscht einfach keine Routine vor, weder bei den Musikern, noch bei den Fans, der Unterschied war in diesem Fall ohnehin fließend. Klar ist jedoch, dass alle an ihrer Szene mitwirken und sie "leben", denn sonst hätte sie gar kein Bestehen. Ich glaube nicht, dass es ein Chinese mit feschem Darkwave-Haarschnitt in seinem Land leicht hat, auch nicht in Beijing, daher ist der Schritt dahin auch sicher nicht nur aus einer Laune heraus im Prozess pubertärer Charaktersuche getan. Außer wenigen Engagierten, wie etwa dem Besitzer dieser Bar, der die Bands gewissermaßen nur vor sich selbst spielen lässt, pusht niemand das Geschehen, und bis zur nächsten Bastion von Untergrundkultur, mag die nun in Hongkong oder in Japan liegen, ist es weit. Von daher strahlte das Konzert trotz der 20 Mann vor der Bühne, die auch noch recht nüchtern wirkten, mehr Spannung aus, als so manches Konzert in Deutschland, zu dem sich das Publikum erst mal besaufen muss, um in ausreichende Partylaune zu kommen und bei dem viele nur vorgefertigten Rollenmustern in Kleidung bis Mimik folgen. Ich wage zu behaupten, dass auch andere Szenen in Beijing, wie etwa die der Punkrocker, ähnlich ausschauen. Wenn ihr je Gelegenheit habt, eine chinesische Band zu sehen, hören und sprechen, dann fragt sie mal, wie es bei ihnen zu Hause ausschaut. Ich habe sicher nur einen sehr oberflächlichen Eindruck von dieser Welt gewonnen, durch meine Imperialistenbrille.
Kürzlich hat mich der Betreiber einer Homepage, die sich ganz dem Metal in China widmet, angeschrieben. Rock in China.com


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